Neben den Eltern prägen vor allem Geschwister unsere persönlichen Vorlieben und Eigenarten – meist für ein ganzes Leben. Psycholgen kennen den Grund: Die jeweilige Nische, die ein Kind innerhalb seiner Familie einnimmt, trägt viel zur Identitätsfindung bei.
Aus: Gehirn&Geist, Mai 2010
Den Einfluss von Geschwistern auf die geistige Entwicklung des Menschen stuften Forscher lange Zeit als gering ein. Heute ist jedoch klar, dass sie die individuellen Eigenarten und Vorlieben von Kindern auf vielfältige Weise prägen. Neben Eltern und Gleichaltrigen übernehmen Geschwister eine wichtige Rolle als "Sozialisationsagenten", berichtet das Magazin Gehirn&Geist in seiner aktuellen Ausgabe (05/2010).
Geschwisterbande reichen oft bis in die vorsprachlichen Tage der Kindheit zurück und zählen zu unseren dauerhaftesten Bindungen überhaupt. Ältere Geschwister übernehmen dabei oft die Rolle des dominanten Vorbilds, Nachzügler sind dagegen eher rebellisch und offen für neue Erfahrungen.
Der Grund für solche psychologischen Unterschiede liegt laut dem Züricher Psychologen Jürg Frick nicht in einer etwaigen genetischen Disposition aufgrund der Geburtsfolge. Sie ergeben sich vielmehr aus der Kombination von persönlichem Temperament und dem Drang, als eigenständige Persönlichkeit anerkannt zu werden. Jedes Kind nimmt im Lauf der Zeit eine familiäre Nische ein. Es lernt bestimmte Rollen, um von den Eltern Zuwendung und Anerkennung zu erhalten. Die dabei erworbenen Strategien werden häufig bis ins Erwachsenenalter beibehalten.
Die individuelle Nischenfindung wirft vor allem für später Geborene Probleme auf: Wenn etwa die ältere Schwester ihren Platz als ausgelassene Frohnatur bereits gefunden hat, bleiben der jüngeren nur die Möglichkeit, die ältere noch zu überbieten – oder sie verlegt sich auf eine andere Rolle, zum Beispiel die der "intellektuellen" Schwester. Entgegen früheren Vorurteilen haben Einzelkinder nach Stand der Forschung keine Entwicklungsnachteile. Allerdings erleben sie familiäre Brüche intensiver – etwa bei Scheidung der Eltern.
Das Spektrum der individuellen Abweichungen ist bei alldem aber so groß, dass meist nur schwache statistische Effekte nachweisbar sind. Bei aller gebotenen Vorsicht lassen sich dennoch gewisse Tendenzen ausmachen.
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