Mittwoch, 26. März 2008

Seuchen - Der Medienrummel um die nächste Grippepandemie

Hysterie schadet, doch Wachsamkeit bleibt geboten















Ein variables Ziel für das Immunsystem - Zwei verschiedene Mechanismen tragen dazu bei, dass sich die Oberfläche von Influenza-Viren laufend verändert. Fehler beim Kopieren der Erbinformation bewirken, dass die Oberflächenproteine nicht gut erkannt werden (Antigen-Drift). Befallen zwei Influenza-Viren die gleiche Zelle, können sie Teile ihrer Erbinformation untereinander austauschen. So können Virustypen mit veränderter Oberfläche entstehen (Antigen-Shift). © Spektrum der Wissenschaft, nach Kräusslich und Müller

Aus: Spektrum der Wissenschaft, April 2008

Die Vogelgrippe gibt ein gutes Beispiel dafür ab, dass sich Panikmache nach einiger Zeit ins Gegenteil verkehren kann: allzu große Leichtfertigkeit und sogar gefährliche Sorglosigkeit. Verstrich vor zwei Jahren kaum ein Tag, an dem die Presse nicht von dieser Seuche berichtete, so finden sich solche Meldungen heute eher selten. Dabei besteht nach wie vor die Gefahr, dass ein neuer menschlicher Grippeerreger entsteht, der eine weltweite Epidemie – eine Pandemie – auslöst. In einem Essay in der April-Ausgabe von „Spektrum der Wissenschaft“ erörtern die Virologen Barbara Müller und Hans-Georg Kräusslich von der Universität Heidelberg die heutige Situation.

Beide warnen davor, an Wachsamkeit nachzulassen, nur weil die erschreckenden Szenarien, von denen wir in den letzten Jahren allzu oft hörten, bisher nicht eintraten. Jederzeit wieder könne plötzlich ein gefährlicher, hoch ansteckender neuer Erreger mit dem Potential auftreten, sich schnell auszubreiten. Diese Warnung richten Müller und Kräusslich vornehmlich an die Verantwortlichen in Forschung und Öffentlichkeit. Man müsse die grassierenden Grippeviren, auch die der Tiere, stets im Auge behalten, um sofort riskante Mutanten zu erkennen.

Ebenso wichtig ist aber weitere intensive Forschung über die Mechanismen, die einzelne Grippeviren ausnehmend gefährlich machen. So brachte die Rekonstruktion des Erregers der Pandemie von 1918, eine der schwersten überhaupt, unerwartete Einsichten dazu, warum gerade dieses Virus Millionen Menschen tötete – und warum ausgerechnet so viele junge, gesunde Personen ihm zum Opfer fielen.

Der Vogelgrippeerreger H5N1 konnte bisher nur vereinzelt auf Menschen überspringen. Vielleicht wird dieses Virus tatsächlich nie eine menschliche Pandemie auslösen – weil die Barriere zwischen den Arten doch zu groß ist. Doch verheerende weiträumige Grippewellen traten seit Jahrhunderten alle paar Jahrzehnte auf. Entsprechende Viren können sich leicht auch aus schon vorhandenen menschlichen Erregern entwickeln. Nach Meinung der Heidelberger Virologen besteht durchaus noch einiger Handlungsbedarf der Institutionen, um vorbereitet zu sein, die nächste Grippepandemie schon im Anzug abfangen zu können.

Aus: Spektrum der Wissenschaft, April 2008