Mittwoch, 19. November 2008

Hauptsache Daddeln















Hauptsache Daddeln. Süchtige Onlinespieler ordnen ihr übriges Leben komplett dem Geschehen auf dem Bildschirm unter. Foto: Gehirn&Geist/Yannik Wegner

Erste deutsche Ambulanz für Computerspielsüchtige startet mit guter Erfolgsquote

Aus: Gehirn&Geist, Dezember 2008

Im März 2008 eröffnete die Mainzer Uniklinik die erste deutsche Ambulanz für Computerspielsüchtige. Die ersten Behandlungsergebnisse wurden jetzt im Psychologiemagazin Gehirn&Geist (Heft 12/2008) veröffentlicht. Wie der Ambulanzleiter Klaus Wölfling berichtet, haben 24 Patienten ihre Therapie abgeschlossen: »14 waren zum Ende abstinent, weitere fünf haben zumindest ihre Spieldauer eingeschränkt und führen wieder ein Leben außerhalb der virtuellen Welt.« Allein das tägliche Daddeln selbst gelte noch nicht als Sucht, sagt Wölfling. Entscheidend sei vielmehr, dass die Betroffenen nicht mehr spielen, weil es ihnen Spaß macht, sondern weil sie nicht mehr anders können. Infolgedessen bekommen sie Probleme in Schule oder Beruf, verlieren alle anderen Interessen und ziehen sich von Freunden und Familie zurück.

Der Psychologe fordert, auf der Verpackung von bestimmten Onlinespielen Warnhinweise anzubringen, die Neueinsteiger über das Suchtpotenzial aufklären. Besonders hoch liege das Risiko bei den »Massively Multiplayer Online Role-playing Games« – Onlinerollenspiele wie zum Beispiel »World of Warcraft«, in deren virtuellen Welten die Spieler mit fiktiven Figuren (Avataren) interagieren. Weil sich die virtuellen Aufgaben der Spielfiguren nicht allein bewältigen lassen, schließen sich die Spieler meist in Gruppen zusammen. So entsteht ein sozialer Druck, zu bestimmten Zeiten am Rechner zu sitzen. Die Investition wird belohnt mit Erfolgserlebnissen, Anerkennung und Zugehörigkeitsgefühlen – was einigen Spielern in der realen Welt fehlt.

Wenn das Abtauchen in die Parallelwelt die einzig verfügbare Strategie darstellt, mit der sich Stress und Ärger im Alltag bewältigen lassen, ist professionelle Hilfe nötig. Wölfling empfiehlt den Eltern betroffener Kinder und Jugendlicher, von einem abrupten Spielverbot abzusehen. Stattdessen sollten sie in Gesprächen auf Augenhöhe herausfinden, welche Bedürfnisse der Nachwuchs im Spiel befriedigt, um zu alternativen Aktivitäten zu ermutigen, die dieselbe Funktion erfüllen. Nach demselben Prinzip lernen auch die Patienten in der Mainzer Ambulanz, ihrem Verlangen zu widerstehen. Zuvor analysieren sie ihr Suchtverhalten: Welche Gedanken und Gefühle treten vor und nach dem Spielen auf und wie wirkt es sich kurz- und langfristig aus? Ziel der Therapie ist nicht die Abstinenz von Internet oder PC, sondern allein vom betreffenden Spiel, erklärt der Ambulanzleiter.

Wölfling und seine Kollegen wiesen 2007 nach, dass der Anblick von Spielszenen bei den Computerspielsüchtigen ähnliche Reaktionen im Gehirn hervorruft wie der von einem Glas Bier bei Alkoholikern. Trotzdem ist die Computerspielsucht als eigenständiges Störungsbild noch nicht anerkannt und ihre Verbreitung wenig erforscht. Wölfling schätzt den Anteil der Abhängigen unter den regelmäßigen Spielern zwischen 16 und 30 Jahren auf zwei bis drei Prozent, davon 85 bis 90 Prozent Männer. Die Krankenversicherung übernimmt im Regelfall nur dann die Kosten einer Psychotherapie, wenn der Betroffene zusätzlich an einer anderen, diagnostizierbaren Störung leidet.

Gehirn&Geist ist das Magazin für Psychologie und Hirnforschung aus dem Verlag Spektrum der Wissenschaft.